Autorin: Anja Bölck erschienen im Hagenower Kreisblatt vom 26.01.2022
Heute ist irgendwie der Wurm drin. In der Schule haben sie sich über jede Kleinigkeit schlapp gelacht und jetzt, kaum am Angelteich angekommen, geht es weiter. „Dann sucht euch mal einen Spinner aus“, sagt Christoph Wittek und hält ihnen kleine bunte Gummifische vor die Nase. „Spinner haben wir genug in unserer Klasse“, sagt Hannah und schon kringeln sich die anderen wieder vor Lachen.
Auch Christoph Wittek vom Landesanglerverband muss grinsen, lässt sich aber nicht aus der Ruhe bringen. „Besser sie sind aufgedreht und fröhlich als gelangweilt und genervt“, denkt der Petrijünger bei sich, erzählt ihnen, welche Spinner welche Fische anlocken und stapft dann vorweg zum Wasser. Wo bereits einige wohlgenährte Nutrias entspannt ihre Bahnen ziehen.
Einmal die Woche sehen sich Christoph Wittek und die Kinder. Mal hier am Mühlenteich in Hagenow, mal in der Schule zur Angeltheorie. Immer schön im Wechsel, damit den Sechstklässlern von der Friedrich-Heincke-Schule die AG nicht langweilig wird. „Angeln macht Schule“ heißt das noch recht junge Projekt für ein Ganztagsangebot an den Schulen in MV, das Christoph Wittek leitet und das in Hagenow und an neun weiteren Schulen läuft. Dort allerdings unterrichtet nicht Wittek selbst. Angebissen haben angelfreudige Lehrer und Petrijünger aus Vereinen, die Nachwuchssorgen plagen.
Heute steht in Hagenow Spinnfischen auf dem Programm. Wie gut bei dem kalten Wetter. Mütze, Schal und Handschuhe trägt hier nämlich niemand. Typisch in dem Alter. Statt still mit der Stippangel am Ufer zu sitzen, auf die Pose zu starren und zu hoffen, dass irgendeine flinke Flosse anbeißt, sollen die Kinder die bunten Gummifische an den Haken stecken und sie so weit wie möglich mit der Angel auswerfen, um sie kurz darauf durchs Wasser gleiten zu lassen. Irgendein Unterwasserjäger wird sie schon bemerken.
Auswerfen, kurbeln, auswerfen, kurbeln. Den Kids wird langsam warm. Aber der Überkopf-Wurf muss sitzen. Tut er noch nicht. Die Gummifische kreisen in der Luft und landen ein, zwei Meter vor ihnen im Wasser. Die Backfische lachen und die Nutrias kommen neugierig herangeschwommen.
„Schnur loslassen“, ruft Christoph Wittek und wirft einen kurzen Blick zu Zoé rüber. Bei ihr läufts. Wie ein Profi wirft die Zwölfjährige die Angel aus. Warum kann sie das? „Hab ich von Mama und Papa gelernt“, sagt sie. „Wir sind oft mit dem Boot unterwegs, auch auf der Ostsee. Am liebsten bei Greifswald, weil es da Hornhechte zu fangen gibt. Die sind lecker. Das ist der einzige Fisch, den ich so mag. Sonst esse ich sie nur paniert.“
„Ich mag auch nur Fischstäbchen“, sagt Freundin Laura, die ebenfalls von ihrer Familie zum Angeln angestiftet wurde und diesem Hobby nur allzu gerne nachgeht. Im vergangenen Jahr holte sich die Sechstklässlerin den 1. Platz bei der Jugend-Stadtmeisterschaft in Hagenow.
Christoph Wittek isst alle Fische gern, vor allem die, die in solchen Teichen wie diesem schwimmen. Plötze, Rotfeder, Brasse. Kürzlich haben sie einen 30 Zentimeter großen Döbel aus dem Wasser gezogen. „Der schmeckt im Winter besonders lecker“, schwärmt der junge Mann.
In diesem Schuljahr zählt Christoph Wittek erstaunlich viele Mädchen in seiner AG. Fast alle von ihnen haben schon mal mit „Vaddern“ oder Opa geangelt. Zoé und Laura hoffen, am Ende des Schuljahres ihren Fischereischein machen zu können. „Ich hab nämlich keine Lust, bei den Erwachsenen im Lehrgang zu sitzen und meine Samstage zu opfern“, sagt sie und holt aus. Der Spinner saust über den Teich und – verfängt sich drüben am anderen Ufer.
Christoph Wittek macht sich auf den Weg. Er kennt das. Immer mal wieder muss er sich die Angelhose überstreifen und ins Wasser steigen. Er freut sich derweil, dass die Mädchen ihren Fischereischein machen wollen. Mehr kann man mit dem Projekt „Angeln macht Schule“ nicht erreichen. Wenn sie vor dem 14. Lebensjahr ihren Fischereischein in der Tasche haben, können sie weiter ihrem Hobby nachgehen. Wenn nicht, ist Schluss mit Angeln. Tun sie es doch, werden sie zu Schwarzanglerinnen. Zwar kommt immer wieder verständnisloses Kopfschütteln aus der Anglerwelt der Erwachsenen und Kritik an der für Kinder viel zu schweren Fischereischeinprüfung, doch noch steht es im Gesetz, dass sich die jungen Leute ab 14 Jahren strafbar machen, wenn sie den Schein nicht besitzen.
Schwarzanglerinnen wollen Zoé, Laura und die anderen natürlich nicht werden. Darum spitzen sie die Ohren, wenn Christoph Wittek ihnen erzählt, was alles so im Teich kreucht und fleucht, welche Fische sie mit nach Hause nehmen dürfen und welche nicht. An manchen Tagen keschern sie Wasserflöhe und Käfer aus dem Wasser und schauen sie sich unter dem Mikroskop an. „Zu drei Viertel dreht sich bei ,Angeln macht Schule‘ alles um Umwelt, Natur und Biologie“, sagt Christoph Wittek, der von Hause aus Biologe ist. „Angeln ist letztlich ein sehr naturverbundenes Hobby.“
Auch der Theorieunterricht soll so wenig trocken wie möglich sein. Die Hefte, die Christoph Wittek allen „Angeln macht Schule“-Lehrern im Land gern zuschickt, sind so bunt wie die Fischwelt selbst. „Bei den normalen Fischereischein-Unterlagen schalten die Kinder irgendwann ab“, weiß der Projektleiter. Zugeschnitten sei der Lehrgang vor allem auf Fünft- und Sechstklässler. Die Älteren können ohnehin nicht in den Genuss kommen, weil sie dann schon 14 sind. Kursgebühren gibt es keine. Jedes Kind soll seinen Fischereischein machen können, egal aus welchen sozialen Verhältnissen es kommt.
Heute beißt es nicht. Der Eimer ist noch leer am Mühlenteich. Kann Christoph Wittek den Kindern diesmal nicht zeigen, wie man die Fische vernünftig tötet. Kürzlich haben sie einen Grill aufgestellt und ihren Fang gleich an Ort und Stelle verputzt. Das fanden alle toll. Etwas naserümpfend tragen sie manchmal die frisch gefangenen Fische nach Hause. „Meine Brotdose, in die du den Fisch reingelegt hast, nehm ich nicht mehr“, sagt Hannah. „Die riecht nach Fisch.“ Christoph Wittek erwidert schmunzelnd. „Hast du die nicht gewaschen?“ „Doch, drei Mal“, lautet die Antwort. Aber die riecht immer noch!“ Stolz war Hannah natürlich trotzdem auf ihren Fang.
Anderthalb Stunden sind um. Bald wird es dunkel. Heute beißt wohl keiner mehr. Was soll’s, Glück gehört zum Angeln dazu. Die Kinder pulen ihre Gummifische vom Haken und drücken Christoph Wittek ihre Angeln in die Hand. „Bis nächste Woche, Christoph!“
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